5,0 sur 5 étoiles
Das minoische Kreta als Vorbild?
Commenté en Allemagne 🇩🇪 le 26 février 2022
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Erst am Ende des Buches machen die Autoren das folgende Geständnis:
'Unsere Arbeit begann als eine Art Spiel, dem wir mit mildem Trotz gegenüber unseren 'ernsthafteren' akademischen Verpflichtungen frönten. Wir waren einfach neugierig darauf, wie die neuen archäologischen Zeugnisse, die sich in den vergangenen 30 Jahren angesammelt hatten, unser Verständnis der frühen Menschheitsgeschichte verändern könnten'.
Wären diese Sätze am Beginn gestanden, also als Einleitung zum Buch, und nicht nachdem man es mit einiger Mühe schon fertiggelesen hat, dann hätte man sich nicht so oft gewundert über die unkonventionelle Art der Aufarbeitung des immensen Materials und des lockeren, fast erzählerischen Stils in dem hier *Eine neue Geschichte der Menschheit* präsentiert wird. Die Struktur des Buches folgt nämlich eher den sprunghaften Interessen der Autoren und weniger dem Wissendurst des interessierten Laien, den die vielen Querverweise über die Jahrtausende eher verwirren.
Dass wir alle afrikanischen Ursprungs sind, wissen wir, weil der moderne Mensch, also der homo sapiens, zuerst in Afrika auftrat, vor 300.000 Jahren. Aber die Feststellung ist schon verblüffend, dass 'für den größten Teil der Entwicklungsgeschichte die Menschen auf dem afrikanischen Kontinent lebten', und dass die Populationen im frühmenschlichen Afrika physisch viel unterschiedlicher waren als alles was wir heute weltweit kennen.
Als der homo sapiens sich auf den Weg in den Norden machte, traf er vor 45.000 Jahren in Europa auf die Neandertaler und den Denisova-Menschen. Eurasische Populationen gelangten vor etwa 17.000 Jahren in die 'Neue Welt', vermutlich über die Landbrücke zwischen Russland und Alaska.
Während um 5000 v. u. Z. Indianer erstmals die Sümpfe im südlichen Florida besiedelten und feste Dörfer gründeten, bildete sich auch in der übrigen Welt die Zivilisation heraus, Bauern wurden sesshaft, es entstanden Städte und Staaten und Regierungen.
Einander ähnelnde Entwicklungen entstanden unabhängig voneinander, so wie die sogenannte Achsenzeit 800 – 300 v.u.Z, in der fast gleichzeitig alle wichtigen Schulen der spekulativen Philosophie entstanden, vom persischen Propheten Zoroaster über Buddha zu Konfuzius und die Vorsokratiker.
Eine der Aussagen der Autoren ist, dass sie die Leser zu einer neuen Geschichtswissenschaft einladen wollen, 'durch die unsere Vorfahren ihre volle Menschlichkeit zurückerhalten'.
Lassen wir uns also einladen zu den Anfängen unserer Spezies und seien wir froh darüber, dass wir uns – nach Meinung der Autoren – für unsere genetischen Vorfahren keineswegs genieren müssen.
Im Gegenteil, wir hätten von ihnen noch lernen können und die klügeren ihrer Nachkommen, also auch unserer Vorfahren in der Neuzeit, haben das auch getan.
Die Autoren beschreiben, wie die Auftritte von indigenen Persönlichkeiten, wie dem Huronen-Häuptling Kondiaronk (1649-1701), der mit den Franzosen in Nordamerika gekämpft hatte, die damalige europäische Intelligenz beeindruckten. Kondiaronk hatte das Leben im Frankreich 17. Jhdt. kennengelernt und meinte, dass die Völker in Canada trotz ihrer Armut reicher wären als die Europäer, deren Unterscheidung zwischen Mein und Dein alle Arten von Verbrechen bringt. Es sei sinnlos, die Menschen zu gutem Verhalten zu zwingen, wenn es gleichzeitig einen entgegengesetzten Apparat gibt, der sie zu schlechtem Verhalten ermuntere.
Es werden Montesquieu, Diderot, Chateaubriand, Voltaire genannt, die die in Europa bekanntgewordenen *Wilden* in mancher Weise als Vorbild für ihre damalige europäische Gesellschaft sahen.
Leider vergessen die Autoren in diesem Zusammenhang auf Michel de Montaigne (1533-1592), der schon 100 Jahre vor Kondiaronks Auftritt persönlich Menschen aus Brasilien getroffen hatte, darunter auch Kannibalen aus dem Volk der Tupinamba. Zwei Essais seiner berühmten Essais-Sammlung beschäftigen sich mit den durchaus positiven Erkenntnissen die er aus diesen Begegnungen hatte. (Wenig bekannt sind 2 Lieder, ein 'Liebeslied' und ein 'Todeslied' der Tupinamba, die Michel de Montagne aufgeschrieben hatte und von denen Goethe, der Montaigne sehr schätzte, sogar deutsche Fassungen schrieb).
Unerwartet hingegen ist die Vehemenz mit der die Autoren Jean-Jaques Rousseau ablehnen. Nicht nur, weil er angeblich den 'Mythos vom dummen Wilden' verbreitete, sondern weil er die Frage des Eigentums zum wichtigsten gesellschaftlichen Kriterium machte.
Die Frage sei nicht, wann Privateigentum entstand, schreiben sie, sondern wie es dazu kam, dass es bei so vielen menschlichen Angelegenheiten zum Ordnungsprinzip wurde. Die Fixierung auf das Eigentumsrecht als Grundlage von Gesellschaft und sozialer Macht sei nur ein eigentümliches westliches Phänomen.
Oder: 'In der Praxis heißt Eigentumsrecht, die anderen von diesem Eigentum fernzuhalten; Eigentum ist ein Rechtsverständnis, das auf einer raffinierten Mischung aus Moral und Gewaltandrohung beruht.'
Wie anfangs schon angedeutet, ist die Fülle an Informationen und Querverweisen nicht so leicht zuzuordnen. Das Fragmentarische der einzelnen Abschnitte hat aber auch seinen Reiz. Ebenso wie die anarchistische Sicht, mit der die Menschheitsentwicklung gedeutet und gewertet wird und damit Einsichten abseits üblicher Klischeevorstellungen ermöglicht.
Zwei abschließende Zitate sollen für die Haltung der Autoren stehen mit denen sie nicht ein abschließendes Resümee abgeben, sondern einfach die Fragen stellen:
'Was bisher als Zivilisation galt, ist vielleicht nichts anderes, als die geschlechtsspezifische Aneignung eines früheren, ursprünglich weiblichen Wissenssytems durch Männer, die ihre Ansprüche buchstäblich in Stein meißelten.'
'Wie wäre es, wenn wir Ansätze wie das minoische Kreta (das zuvor in seinen schönen menschlichen Farben geschildert wurde) nicht als zufällige Schlaglöcher auf dem Weg betrachteten, der unvermeidlich zur Bildung von Staaten und Imperien führt, sondern als alternative Möglichkeiten die wir nicht eingeschlagen haben?'
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